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topicnews · October 2, 2024

Die größten Missverständnisse: Sind MMA-Kämpfe bloß blutige Prügel-Orgien?

Die größten Missverständnisse: Sind MMA-Kämpfe bloß blutige Prügel-Orgien?

Kampfsport bedeutet in der Regel: Vollkontakt. Das ist bei Mixed Martial Arts nicht anders. Allerdings gibt es rund um die in Deutschland boomende Sportart viele Vorurteile. ntv räumt einige davon zusammen mit einem MMA-Profi auf.

Wer Mixed Martial Arts schaut, steht auf Gewalt, will in einer wilden Keilerei Blut sehen. Das ist eine sehr stereotypische Sicht auf den Sport, die nicht zutrifft, sofern man sich mit MMA auseinandersetzt. Regeln, Taktik und letztlich auch die Fähigkeiten in mehreren Kampfsportarten spielen eine entscheidende Rolle.

RTL+ zeigt am 12. Oktober ab 16.30 Uhr das MMA-Event Oktagon 62 aus dem Deutsche Bank Park in Frankfurt, bei dem Christian Eckerlin und Christian Jungwirth den Hauptkampf bestreiten werden. Dazu stehen elf weitere Kämpfe eine Eröffnungszeremonie und eine Halbzeitshow an (zu sehen im Premium Monats-Abo ab 8,99 Euro). Zeit, um mit ein paar Vorurteilen aufzuräumen.

Ein Kampf ohne Regeln?

Niko Samsonidse hat soziale Arbeit studiert, seit einigen Jahren ist er professioneller MMA-Kämpfer.

Niko Samsonidse hat soziale Arbeit studiert, seit einigen Jahren ist er professioneller MMA-Kämpfer.

(Foto: Oktagon)

Die Annahme, zwei Kämpfer oder Kämpferinnen werden in einem Käfig komplett ohne Regeln aufeinander losgelassen, ist falsch. In MMA gibt es sogar sehr viele Regeln. Das Regelwerk greift bereits bei den Voraussetzungen für einen Kampf. Das betrifft Gewichtsklasse, Tiefschutz, Mundschutz und Handschuhe mit einem Gewicht zwischen vier und sechs Unzen (1 Oz = ca. 28 Gramm). Schlagen, Treten, Knie- und Ellbogenstöße sind erlaubt, aber auch hier gibt es einen Rahmen.

“Es gibt ein Regelwerk, das darauf abzielt, gesundheitliche Schäden zu vermeiden”, erklärt der Berliner MMA-Fighter Niko Samsonidse im Gespräch mit ntv/RTL. “Deswegen sind zum Beispiel Schläge auf den Hinterkopf verboten, weil das langwierige Folgen haben kann.” Der Hinterkopf soll durch eine 5 Zentimeter breite verbotene Trefferzone geschützt werden, die sich über den Scheitel entlang der Wirbelsäule zieht. Zudem sind auch keine Kopfstöße, Tiefschläge, Schläge auf die Kehle und Stiche ins Auge des Gegners erlaubt. Kratzen, Beißen, Kneifen, die Finger- oder Zehgelenke zu attackieren, ist ebenfalls verboten. Ist bei einer solchen Aktion Absicht zu erkennen, kann das zum Punktabzug oder zur Disqualifikation führen.

Verlagert sich der Kampf auf den Boden, verschärfen sich die Regeln unter anderem bei Kniestößen. Ist ein Kämpfer in der Drei-Punkt-Haltung, also drei der vier Gliedmaßen berühren den Boden, darf nicht mit Kniestößen zum Kopf angegriffen werden. Ein Griff in die Handschuhe des Gegners – verboten. Der Griff in den Käfigzaun – bspw. um sich aufzurichten – verboten! Samsonidse, der beim historischen MMA-Event in Frankfurt gegen Daniel Torres antreten wird, erklärt, dass sogar die Etikette im Käfig eine Rolle spielt. “Laut Regelwerk sind Beleidigungen und respektloses Verhalten nicht erlaubt und auch das wird verwarnt oder sanktioniert.”

Wilde Rauferei ohne Plan?

Das Bild zweier Gladiatoren in einer Arena wird oft als Parallele zu Mixed Martial Arts gezogen. In Käfigkämpfen geht es entgegen diesem Bildnis nicht um Leben und Tod. Auch wenn die Rhetorik im Vorfeld vieler Auseinandersetzungen vielleicht in diese Richtung geht. “Wenn man sich das Ganze genauer anguckt, dann sieht man, wie viel Technik, wie viel Training und wie viel Taktik dahintersteckt”, sagt Samsonidse. Einen Plan habe jeder Kämpfer, weil sich MMA aus allen Kampfsportarten zusammensetzt und viele der Athleten ihren Ursprung in einer oder mehreren Disziplinen haben. “Wo habe ich Stärken, wo hat mein Gegner Schwächen? Darauf bereitet man sich im Training vor. Je mehr man sich mit der Materie beschäftigt, umso mehr merkt man, wie komplex der Sport ist”, so der Federgewicht-Kämpfer aus Berlin.

Wer am Boden liegt, ist unterlegen?

Am Boden geht der Kampf weiter: Auch aus der Unterlage kann ein Kämpfer Treffer landen und Aufgabegriffe ansetzen. Am Boden geht der Kampf weiter: Auch aus der Unterlage kann ein Kämpfer Treffer landen und Aufgabegriffe ansetzen.

Am Boden geht der Kampf weiter: Auch aus der Unterlage kann ein Kämpfer Treffer landen und Aufgabegriffe ansetzen.

(Foto: Oktagon)

In MMA-Kämpfen kommt es regelmäßig zur Situation, dass einer der Kämpfer am Boden landet, auf dem Rücken liegt und sich gegen seinen Gegner verteidigt, der ihn mit Schlägen bearbeitet. Die Position muss nicht bedeuten, dass der eine Kämpfer automatisch unterlegen ist. “Man ist nicht wehrlos, wenn man am Boden liegt. Es gibt auch hier viele Möglichkeiten, um den Kampf zu gewinnen, wenn man in der Unterlage ist”, sagt Samsonidse, der selbst den schwarzen Gürtel in Brazilian Jiu-Jitsu hat.

Da viele Kämpfer ihre Stärken im Ringen oder BJJ haben, wollen sie, dass sich das Geschehen auf den Boden verlagert. Teilweise gibt es Kämpfer, die auffällig leicht nach einem Treffer zu Boden gehen, um den Gegner in diese Position zu locken. Dort sind dann in der Regel Aufgabegriffe das Ziel eines Bodenkämpfers, um den Kampf zu beenden.

Immer eine blutige Schlacht – immer gefährlich?

Dass Blut fließt, ist in MMA-Kämpfen nicht untypisch, auch Verletzungen passieren. Es handelt sich schließlich um Kampfsport wie Boxen, Ringen, Judo oder Jiu-Jitsu auch. “Langwierige, schlimme Verletzungen sind eher eine Seltenheit”, sagt Samsonidse. “Und klar gibt es mal ein blaues Auge oder einen Cut. Aber das sind dann eher oberflächliche Verletzungen.”

MMA ist ein Vollkontaktsport. Das zeigen auch die Vorher-Nachher-Bilder von Dominic Schober nach seiner Niederlage in Oberhausen. Aber viele Verletzungen sind nur oberflächlich. MMA ist ein Vollkontaktsport. Das zeigen auch die Vorher-Nachher-Bilder von Dominic Schober nach seiner Niederlage in Oberhausen. Aber viele Verletzungen sind nur oberflächlich.

MMA ist ein Vollkontaktsport. Das zeigen auch die Vorher-Nachher-Bilder von Dominic Schober nach seiner Niederlage in Oberhausen. Aber viele Verletzungen sind nur oberflächlich.

(Foto: Oktagon)

Der Ringrichter soll die Kämpfer vor schweren Verletzungen schützen. Er beobachtet die Körpersprache und auch die Augen eines Kämpfers. Macht einer der Fighter Anzeichen, sich nicht mehr intelligent verteidigen zu können, ist der Kampf vorbei. Der Referee stemmt und wirft sich teilweise zwischen die Kontrahenten und beendet damit den Kampf. Intelligente Verteidigung bedeutet: Ein angeschlagener Kämpfer schützt sich vor den Attacken des Gegners, wehrt sich und versucht, aus der Position, in der er sich gerade befindet, herauszukommen.

Letztlich ist MMA auch weniger gefährlich als Boxen, wo der Athlet nach einem Niederschlag zehn Sekunden angezählt wird. Egal wie benommen ein Boxer ist, ob er eine Gehirnerschütterung hat, er bekommt die Möglichkeit weiterzukämpfen, sofern er die Deckung hochnehmen kann. Zudem gehen viele Schläge zum Kopf, während in MMA der ganze Körper – ausgenommen der bereits genannten verbotenen Zonen – zum Ziel wird.

Es gibt auch einen Ringarzt, der in bestimmten Situationen ebenfalls die Kämpfer unter die Lupe nimmt. Auf Ansage des Ringrichters oder in der Pause überprüft der Arzt beispielsweise, welche Auswirkungen ein Cut hat. Ist der zu tief oder sehr nah am Auge, dann kann auch hier der Kampf abgebrochen werden.

MMA-Kämpfer sind alle brutale Schlägertypen?

“Das ist natürlich ein Vorurteil, das entkräftet werden muss. Wenn man sich die unterschiedlichen Kämpfer anguckt, die eine Ausbildung gemacht haben, studiert haben, entsprechen sie nicht dem Stereotyp von 100 Kilo Muskelprotz mit Tattoos.” Es gibt auch nicht den ganz klaren Karriereweg als MMA-Profi. Viele sind aufgrund der eher niedrigen Gagen darauf angewiesen, sich selbst zu vermarkten, Sponsoren zu suchen oder einem Job nachzugehen. “Das macht natürlich den Weg auch um einiges schwerer und härter”, so Samsonidse, der selbst studiert und als Sozialarbeiter gearbeitet hat. Dadurch hätten alle einen unterschiedlichen Background – “das macht die Typen natürlich vielfältiger und spannender”.

Was gewalttätige Auseinandersetzungen auf der Straße angeht, seien professionelle Kampfsportler zurückhaltend. “Ich kann zwar nicht für alle sprechen, aber der Großteil der Kämpfer und Kämpferinnen vermeidet es, sich in Streitsituationen zu begeben.” Zum einen natürlich, weil man sich seiner Fähigkeiten bewusst sei. Zum anderen, weil man sich auch nicht verletzen wolle. “Das ist auch eine Frage des Egos. Ein Kampfsportler muss sich in so einer Auseinandersetzung nicht beweisen. Dazu ist es in vielen Teams und Gyms eine Art Politik, nicht in irgendwelche Schlägereien verwickelt zu werden.”