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topicnews · October 9, 2024

Wie Putins Propaganda-Schleudern Sahra Wagenknecht benutzen

Wie Putins Propaganda-Schleudern Sahra Wagenknecht benutzen

Das Video zeigt Sahra Wagenknecht, 55, in klassischer Positur. Der Rücken kerzengerade, der Lidschatten dezent, die Frisur sitzt. Der Blick durch die Scheiben ihres Hauses fällt auf Obstbäume in einem sanften Grün. Zwei gläserne Anhänger wippen an den Ohren der die Gründerin und Chefin des „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW).

Wagenknecht kritisiert in Film Baerbock

Film ab, 27. Mai 2024, 18.21 Uhr. Außenministerin Annalena Baerbock sei mal wieder beim ukrainischen Präsidenten Selenskyi gewesen, beginnt Wagenknecht ihren Video-Kommentar und fällt dann in einen  kindlichen Ton, als säße sie gerade in der WDR-„Sendung mit der Maus“: Baerbock habe Selenskyi „gaaaanz viel Geld“ für „noch viiiel mehr Waffen“ versprochen.

Die deutsche Bevölkerung leide hingegen unter den Haushaltslöchern. „Aber für Waffen, für diesen Krieg, da scheint Geld noch und noch vorhanden zu sein. Wahrscheinlich“, tadelt Wagenknecht, „liest Frau Baerbock keine Zeitungen!“

Wagenknecht-Videos werden für russische Kampagnen genutzt

Schnitt. Ein kleines Detail stört die Optik: Am oberen linken Rand des Videos prangt ein Emblem, das nach einem Verbot der Europäischen Union (EU) im Frühjahr 2022 in Deutschland längst nicht mehr zu sehen sein darf.

Es sind vier Buchstaben: RT DE – sie stehen für die Abkürzung des deutschsprachigen Programms des russischen staatlichen Auslandssenders RT, früher Russia Today. Wer das Emblem in das Video eingefügt hat, ist unklar. Ganz offensichtlich ist es Teil einer Kampagne der Russen, für die Wagenknecht-Videos genutzt werden.

EU entzog „Russia Today“ die Lizenz

Die Sendungen des Moskauer Medienimperiums, von dem Sahra Wagenknecht seit mehr als zwei Jahren massiv protegiert wird, „tragen wesentlich dazu bei, Russlands militärische Aggression gegen die Ukraine zu befeuern und Nachbarländer zu destabilisieren“.

So begründete der Rat der EU am 2. März 2022 seine Entscheidung, RT die Sendelizenz für nahezu alle EU-Länder einschließlich Deutschland zu entziehen.

„Trotz dieses Verbots“, sagt der Chef eines Landesamts für Verfassungsschutz in einem Hintergrundgespräch, „baut Moskau Sahra Wagenknecht mehr und mehr zur Speerspitze gegen die deutsche Demokratie auf.“

Aus Sicht des Kreml sind Wagenknecht und ihre Partei BSW viel bedeutender als die AfD. Weil die neugegründete BSW nicht nur Russlands Narrative im Ukraine-Krieg unterstützt, sondern schon bald in Deutschland als Koalitionspartner in Regierungsverantwortung kommen wird.”

Wagenknecht-Videos für Desinformation gegen den Westen eingesetzt

Der Kreml mag die harte Gangart und macht sich Wagenknecht offenbar zunutze. In einem Video, in dem Wagenknecht die Lieferung von Leopard-Panzern an die Ukraine geißelt, wurde der nationalistische Schlachtruf „Deutschland, erwache!” eingefügt.

Am 2. April 2024, 11.45 Uhr, zieht Wagenknecht über Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) her. Zum Auftakt wird in der Kreml-Version des Videos hinter der Parteigründerin ein Plakat mit dem knalligen Aufdruck „Scholz lügt!“ eingeblendet.

Mit der Genehmigung zur Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen, so doziert Wagenknecht, schade Scholz „unserem schönen Deutschland“ und seinen Bürgern – diese seien einer deutlich höheren Kriegsgefahr ausgesetzt. Zum Ende ihrer 8:08 Minuten langen Wutrede tritt Wagenknecht dann noch mal nach: „Unser vergesslicher Kanzler, mit dessen Gedächtnis einiges im Argen zu sein scheint, lügt!“

Wie kann es sein, dass Wagenknechts Videokommentare von Russlands Propagandasender offenbar für Desinformation gegen westliche Regierungen eingesetzt wird?

Schon in der Sowjetunion war Desinformation die Königsdisziplin

Wenn die sowjetischen Bolschewiki, Tschekisten und Kommunisten und ihre Attrappen in der DDR eine Disziplin nahezu perfekt beherrschten, dann war dies die Desinformation.

Geheimdienst-Legenden wie KGB-General Sergej Kondraschow und Ostberlins Stasi-Oberst Rolf Wagenbreth beschäftigten Hunderte Spezialisten, um ausgefeilte Operationen  zur Irreführung der Bevölkerung in der Bundesrepublik zu realisieren.

Sahra Wagenknecht ist da womöglich ein kleines Rädchen im Triebwerk der weltweiten russischen hybriden Kriegsführung.

Spionage-Experte zu Wagenknechts Vergangenheit

FOCUS online fragte zwei Spionage-Experten des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) und des Bundesnachrichtendienstes (BND), inwieweit die Vorsitzende der neuen Partei BSW für die Kreml-Propaganda genutzt werden könnte.

Beide Geheimdienst-Beamten verwiesen auf Wagenknechts ideologische Basis: Sie sei im autoritären Sozialismus der DDR aufgewachsen und noch im Frühsommer 1989 der Partei SED beigetreten. Zeit ihres Lebens habe sie sich geweigert, die DDR als Unrechtsstaat einzustufen.

Nach der Wende habe Wagenknecht sich bei der Antikapitalistischen Linken und insbesondere bei der vom Verfassungsschutz beobachteten Kommunistischen Plattform führend engagiert.

Videos für politische Attacken leicht zu beschaffen

Videos für Attacken auf politische Gegner sind im Fall Wagenknecht offenbar leicht zu beschaffen.

Die russischen Kundschafter fischen alle Film- und Tondokumente der BSW-Chefin aus dem weltweiten Netz. Nächste Station ist nach Kenntnis der Sicherheitsbehörden der russische Propagandasender RT/Russia Today, der bis zu seinem Verbot in der EU eine große Redaktion mitsamt Studio im Berliner Ortsteil Adlershof unterhielt– selbst Wladimir Putin war mal zu Gast.

Hier, das weiß der Verfassungsschutz, wurden Filme und Videos bearbeitet, neu geschnitten und inhaltlich zum Teil mit künstlicher Intelligenz aufgepäppelt – bei Bedarf wohl auch gefälscht.

In der letzten Produktionsphase werden die Videos und Ton-Interviews in soziale Medien eingespeist, zuletzt unter anderem bei Instagram. Die Russen nutzen seit Jahren bevorzugt die von Moskaus Inlandsgeheimdienst FSB kontrollierte Plattform vk.com, die weltweit und in zig Sprachen knapp 100 Millionen User hat.

In diversen Kanälen finden sich Dutzende Videos von Sahra Wagenknecht, die immer wieder die russische Seite im Ukraine-Krieg unterstützt.

Hybride Kriegsführung als Erfolgskonzept der Russen

Die Macher im Hintergrund gelten als Profis. RT-Chefredakteurin Margarita Simonyan, die sich selbst als „Putins Soldat” bezeichnet und vor Monaten das abgehörte Telefonat von vier deutschen Generälen über Taurus-Marschflugkörper weltweit lancierte, schwört auf hybride Kriegsführung.

Alex Garaschtschenko, General des KGB-Nachfolgedienstes FSB, der im August 2019 im Berliner Kleinen Tiergarten den Dissidenten Selimchan Changoshwilli ermorden ließ, ist einer der Oberbefehlshaber für Moskaus hybride Kriegsführung.

Fake News aus Moskau

Die US-Bundespolizei FBI bezeichnete Garaschtschenko, Simonyan und ihre Helfershelfer kürzlich als „böswillige Akteure”, denen man nun den Deckmantel für ihre verdeckten Einflussaktivitäten entziehen werde. Skandal-Berichte über Trumps Widersacherin Kamala Harris, die nach einem von ihr verschuldeten Crash Unfallflucht begangen haben soll, wurden als Fake News aus der Moskauer Fälscherwerkstatt enttarnt.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz stellt sich darauf ein, dass Deutschland zum Bundestagswahlkampf 2025 mit massenweise Desinformationsmaterial überschwemmt werden könnte. „Kanzlerkandidat Friedrich Merz wird sicherlich massiv befeuert werden“, schätzt ein Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr), das die deutschen Nachrichtendienste beaufsichtigt.

Vertrauliches Material, das in den vergangenen Jahren bei mehreren Hackerangriffen auf den Reichstag und etliche Abgeordnetenbüros erbeutet worden war, könne in nächster Zeit  für ehrabschneidende oder erpresserische Kampagnen benutzt werden, sagt ein hochrangiger Beamter des Bundesinnenministeriums.

Insgesamt hätten seit Beginn des Ukraine-Kriegs Propaganda und Desinformation russischer Stellen zugenommen, teilte das BfV mit.

Sahra Wagenknecht schweigt zu den Vorwürfen

FOCUS online wollte (am 31. August 2024) in einer detaillierten schriftlichen Anfrage von Sahra Wagenknecht wissen, ob sie darüber informiert ist, dass ihre Videos für die hybride Kriegsführung des Kreml genutzt werden.

Außerdem wollte die Redaktion von Wagenknecht erfahren, ob sie juristisch etwas gegen die Nutzung ihrer Person für geheimdienstliche russische Operationen unternehmen will. Beide Anfragen von FOCUS online blieben unbeantwortet.