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topicnews · October 10, 2024

Elon Musk als Werkzeug des Kremls

Elon Musk als Werkzeug des Kremls

Im Oktober 2023 postet Elon Musk dieses Meme. «Das Gefühl, wenn du seit ganzen 5 Minuten nicht mehr um eine Milliarde Dollar Hilfsgelder gebeten hast.» Er verspottet damit den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski und kritisiert die westlichen Hilfspakete an die Ukraine.

Der Account des ukrainischen Parlaments reagiert rasch – mit einer leicht abgeänderten Version des Memes: «Das Gefühl, wenn du seit ganzen 5 Minuten keine russische Propaganda mehr verbreitet hast.»

Damals war das wahrscheinlich nur ein lakonischer Konter der Ukraine. Heute wissen wir: Dieses Meme kommt tatsächlich direkt aus der russischen Propagandamaschine. Kreiert hat es eine Organisation, die im Auftrag des russischen Staates versucht, die Meinung im Westen zu beeinflussen.

Wir haben unzählige Berichte von Geheimdiensten und Tech-Unternehmen durchkämmt und Fake Posts und Videos von gekauften Influencern gesammelt. All das Material zeigt, wie solche Memes ihren Weg vom Kreml in unseren Feeds finden.

April 2022, Russland.«Wir müssen übertreiben. Wir müssen eine Atom-Psychose schüren.» In dieser Sitzung spricht Sergei Wassiljewitsch Kirijenko. Kirijenko ist der stellvertretende Leiter der russischen Präsidialverwaltung und gilt als Putins rechte Hand.

Ebenfalls anwesend in der Sitzung: Vertreter der «Social Design Agency», kurz SDA. Die SDA ist eine Agentur, die im Auftrag des Kremls russische Propaganda verbreitet. In Werbevideos inszeniert sich der Gründer als Mitglied der «ideologischen Streitkräfte Russlands», imaginäres Abzeichen inklusive.

Die Agentur arbeitet schon jahrelang mit dem Kreml zusammen. Im April 2022 startete eine neue Operation. Und das ist kein Zufall: Zwei Monate zuvor ist Russland in die Ukraine eingefallen. Der Plan, das Land in einem Blitzkrieg unter russische Kontrolle zu bringen, ist nicht aufgegangen. Noch dazu stellen sich die westlichen Staaten überraschend geschlossen hinter die Ukraine. Für Russland problematisch.

Ein Plan muss her, um den Westen zu schwächen, die Unterstützung für die Ukraine zu untergraben und um russische Interessen voranzutreiben.«Wir müssen die USA, Großbritannien und die Nato diskreditieren.»

In zahlreichen Sitzungen koordinierte die SDA zusammen mit Kreml-Vertretern eine der bisher größten russischen Propaganda-Kampagnen. Die Sitzungen in der Agentur haben natürlich niemand wirklich mitgefilmt. Aber wir konnten sie nachstellen. Dank dieser Dokumente hier. Ein FBI-Sonderermittler ist an die Sitzungsprotokolle gelangt und hat sie dem US-Justizministerium übermittelt. Die Ergebnisse der Ermittlungen liegen in einer eidesstattlichen Erklärung vor. Sie umfasst 277 Seiten – samt Beweisen, Notizen aus Meetings und Screenshots.

Die Protokolle decken sich mit Erkenntnissen von unabhängigen Recherche-Instituten und Tech-Giganten wie Meta und mit umfangreichen Leaks aus der SDA, die deutschen Medien zugespielt wurden. Dank all dieses Beweismaterials lässt sich nachvollziehen, wie systematisch Russland seine Propaganda-Kampagnen umsetzt.

Zu Beginn dieser Kampagne setzt Russland vor allem auf gefälschte Webseiten, wie diese hier. Sie sehen haargenau so aus wie die Websites seriöser Medien, in diesem Beispiel hier die amerikanische «Washington Post». Die URL ist ebenfalls extrem ähnlich – aber statt „.com“ endet die Domain auf „.ltd“. Und auch der Name der Autorin ist der einer echten Journalistin, die aber mit dem Inhalt des Artikels nichts zu tun hat. Im Artikel selbst handelt es sich um angebliche österreichische Biowaffen. In Wahrheit eine längst entkräftete Verschwörungstheorie.

Je genauer man hinschaut, desto deutlicher merkt man: Die Artikel auf der Webseite passen überhaupt nicht zum Medium und sind teilweise nicht einmal sprachlich korrekt. Den ukrainischen Präsidenten als „Head of Ukraine“ zu bezeichnen, ist auf Englisch nicht gebräuchlich.

Zu Beginn gezielt die Kampagne auf verschiedene Länder – aber bereits im Sommer 2022 verschärft die SDA ihren Fokus.
„Die Deutschen sind abhängiger als die Franzosen. Konzentrieren wir uns auf die Deutschen.»

Klar: Beide Länder sind groß und in Europa wichtig, aber Deutschland ist im Gegensatz zu Frankreich viel mehr auf russisches Gas angewiesen. Die SDA will auch Deutschland ins Auge fassen. Das deckt sich mit Beobachtungen von Meta: Nach diesem Treffen fälschen die Propagandisten fast nur noch deutsche Webseiten. Die Propaganda instrumentalisiert oft gezielt Ängste und Unzufriedenheit, die ohnehin schon da sind. Zum Beispiel in diesem gefälschten «Spiegel»-Artikel über die wirtschaftliche Lage Deutschlands. Hier heißt es unter anderem: „Die Aufhebung der antirussischen Sanktionen“, sei der „einzige Weg, um die endgültige Zerstörung unserer Industrie und den Zusammenbruch der gesamten Wirtschaft zu vermeiden“.

Genau wie im Treffen geplant: «Wir müssen die Deutschen überzeugen, die ineffiziente Sanktionspolitik abzulehnen.»
Um ihre Fakes zu verbreiten, setzt die SDA vor allem auf Kommentare. Fake Accounts auf Social Media teilen Links zu den gefälschten Artikeln, vermeintliche politische Meinungen und Memes – direkt aus der Feder der SDA-Karikaturisten. Oft haben diese Accounts kein echtes Profilbild und weniger als 50 Follower. Auch hier läuft alles ganz nach Plan, wie er hier in diesem SDA-internen Dokument steht: keine eigenen Posts absetzen, sondern andere Posts kommentieren, um möglichst viele Menschen zu erreichen. Und möglichst mit Unterhaltung arbeiten, auch mit Cartoons und Memes – denn diese rufen emotionale Reaktionen hervor.

Trotz all der akribischen Vorbereitung haben die gefälschten Artikel und Memes oft Schwierigkeiten, ein breites Publikum zu erreichen und echtes Engagement zu erzeugen. Nicht zuletzt, weil die Social-Media-Plattformen die Kampagne erkennen und immer mehr Konten sperren. Im September 2022 gibt es zum Beispiel Meta an, rund 1600 Accounts und 700 Seiten entfernt zu haben. «Wir müssen uns überlegen, warum wir keinen Einfluss gewinnen. Die Kennwerte steigen nicht an.»

Dabei wird die Operation immer wichtiger, stehen doch Wahlen in den USA an, die es zu beeinflussen gilt. „Für Russland ist es sinnvoll, sicherzustellen, dass die Standpunkte der Republikaner (zuallererst jene von Trump-Unterstützern) die öffentliche Meinung dominieren“ – heisst es etwa in diesem Memo. Und so zeichnet sich ab 2023 ein Strategiewechsel ab. Weg von gefälschten Nachrichtenseiten, hin zu Influencern.

«Sergei hat nichts dagegen, unsere Influencer im Ausland einzubeziehen.»

«Wir brauchen Influencer! Viele davon. Wir sind bereit, sie fürstlich zu entlohnen.» Gesagt, getan.

Das ist ein Youtube-Video von Tim Pool. Tim Pool ist ein konservativer Influencer und Teil des Unternehmens Tenet Media. Deren Mitarbeiter sollen über Umwege von Russia Today bezahlt worden sein, die wiederum vom russischen Staat kontrolliert werden. Gesamthonorar laut Anklageschrift: 10 Millionen US-Dollar. Die Influencer von Tenet Media wollen von der Finanzierungsquelle nichts gewusst haben. Sie sehen sich als Opfer und distanzieren sich vom russischen Staat. Kennt man ja als Journalist – man hat plötzlich ein paar hunderttausend auf dem Konto, nicht weiter verwunderlich.

Die Leaks und die Recherchen unabhängiger Medien und des FBI zeigen uns die Anatomie einer russischen Propagandakampagne sehr klar auf. In der Umsetzung geht Quantität vor Qualität. 1000 Kommentare pro Tag und Land sollen es in dieser Projektbeschreibung werden; Das sind für Deutschland und Frankreich zusammen immerhin 60 000 im Monat. Wie plausibel oder absurd die Inhalte sind, ist zweitrangig. Sie zeichnen ein Weltbild, in dem jeder sich um sich selbst kümmern soll.

Das heisst: Die Aufgaben eines Staates enden an den eigenen Grenzen und bei den eigenen Bürgern, Allianzen seien unnötig oder gar schädlich. Ausserdem hätten die westlichen Demokratien mit ihren bröckelnden Gesellschaften zuhause genug tun und sollten sich daher nicht in das Weltgeschehen einmischen.

Geschickterweise werden als Beispiele Konflikte und Probleme herangezogen, die es ja wirklich gibt, etwa Migration oder Inflation. Klar, dass es Russland helfen würde, wenn wir alle die Welt so sehen würden – je isolierter demokratischer Staaten sind, desto weniger hindern sie den Kreml daran, seine Interessen umzusetzen.

Im Ergebnis soll sich die öffentliche Meinung in den Zielländern verschieben. Und auch wenn dies nur zu einem sehr geringen Grad geschieht, kann das in Demokratien unter Umständen schon einen großen Unterschied machen. Den Einfluss der Propaganda zu unterschätzen, wäre demnach ein Fehler.

Das Meme von Elon Musk zum Beispiel? Aus den Leaks wissen wir, wer es erstellt hat: eine gewisse Sofia aus dem Team der Social Design Agency.