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topicnews · October 15, 2024

War fasziniert die Fans so sehr?

War fasziniert die Fans so sehr?

Christian Eckerlin thront oben auf dem Käfigrand in der Mitte des Frankfurter Waldstadions. Er streckt die Zunge heraus, ballt die Faust in Richtung der jubelnden Fans und wirft ihnen Küsse zu. Es ist kurz nach Mitternacht am Samstag als der Siebenunddreißigjährige nach fünf Runden gegen den Gleichaltrigen Christian Jungwirth mit einem einstimmen Punktsieg zum „König von Deutschland“ gekürt wird. „Das ist der schönste Tag meines Lebens nach der Geburt meiner Kinder und der Hochzeit mit meiner Frau“, sagt Eckerlin anschließend.

Es gibt zwar nicht den spektakulären Knockout, auf den die Zuschauer gehofft haben, trotzdem wabert durch das Rund der Arena das Gefühl, Teil von etwas ganz Großem gewesen zu sein und den Kampfsport Mixed Martial Arts (MMA), der sich in Deutschland bisher fast nur über Social Media verbreitet hat, auf den Weg in den Mainstream gebracht zu haben.

Was fasziniert die Fans?

59.000 Zuschauer bei einem MMA-Event – das sei Weltrekord, jubeln die Promoter von Oktagon. Zwischen 29 Euro und mehreren tausend Euro für Plätze ganz nahe am Käfig haben die Besucher gezahlt, um im Hauptkampf ein Mitglied der Hells Angels und der Eintracht-Hooligans „Brigade Nassau“ (Eckerlin) und einen ehemaligen Hooligan des VfB Stuttgart (Jungwirth) kämpfen zu sehen. Der Polizei zufolge blieb rund um das Kampfgeschehen alles friedlich.

Suchen Nachwuchs: Die Bundeswehr steht mit einem Truppentransporter in der Fanzone.Peter Jülich

War fasziniert die Fans an diesem Sport? „Menschen, die sich freiwillig auf die Fresse hauen“, sagt Bianca. „Da gehört Mut dazu.“ Die Vierzigjährige ist mit Partner Fabian aus Hamburg angereist. Sie trainieren selber Boxen – ohne Sparring. Zum Zugucken, sagt sie, „ist MMA geiler.“ Bianca fasziniert der Weg von Jungwirth heraus aus der Hooligan-Szene, wo er sich früher ohne Sinn und Verstand geprügelt habe. „Ist hier nicht viel anders – außer, dass er damit Geld verdient.“ Bianca ist als Frau in der absoluten Minderheit.

Das Publikum besteht vor allem aus jungen Männern. Entsprechend ist die Fanzone, die bereits um 14 Uhr geöffnet hat, auf dem Kunstrasenplatz vor dem Stadion gestaltet: Die Bundeswehr ist mit Kampfhubschrauber, gepanzertem Geländewagen und dem Kommando Spezialkräfte (KSK) dabei. Wenige Meter weiter hat sich eine lange Schlange vor dem Zelt zweier Tätowierer gebildet, die alle, die es wollen, das Logo von Oktagon unentgeltlich in die Haut stechen.

Die Stimmung während der Kämpfe ist überraschend ruhig

Eröffnet wird das Kampfevent um 17 Uhr mit der deutschen Nationalhymne, gesungen von einer jungen Frau. Das Stadiondach ist geschlossen, unter dem großen Videowürfel sind vier weitere Leinwände aufgebaut. Dann beginnt der erste Kampf, während das Stadion zu diesem Zeitpunkt maximal zur Hälfte gefüllt ist. Die Stimmung bei fast allen Kämpfen ist überraschend ruhig. Wenn die Kämpfer ab und zu einen Treffer landen, geht ein Raunen durch das Rund.

Der Rapper Gzuz (orangene Weste) performt vor dem Einlauf von Christian Eckerlin.
Der Rapper Gzuz (orangene Weste) performt vor dem Einlauf von Christian Eckerlin.Peter Jülich

Bei den Fights, die vor allem auf dem Boden stattfinden, wird sogar gebuht. Die Fans sind für den Adrenalinkick gekommen – und haben deshalb auch ganz offensichtlich keine Lust auf die schnelle zwanzigminütige Halbzeitshow von John Newman („Love me again“), der laute Elektromusik aus dem Lautsprechen wummern lässt. Sie hätten lieber den Rapper Haftbefehl oder die Böhsen Onkelz gesehen.

Deren Fans kommen später auf ihre Kosten, als Jungwirth zum Lied „Auf gute Freunde“ ins Stadion einläuft. Ohnehin sind es die sogenannten Walkouts der Protagonisten, die für die meiste Unterhaltung sorgen. Als Katharina Dalisda für den einzigen Frauenkampf die Arena betritt, wird es zum ersten Mal richtig laut. Ihren Kampf und Titel im Fliegengewicht verliert die Frankfurterin trotzdem.

Max Coga sorgt für den spektakulärsten Moment

Gefeiert wird der 22 Jahre alte Max Holzer, der mit E-Scooter, Gucci-Kappe, Gucci-Umhängetasche und dem KI-produzierten Song „Verliebt in einem Talahon“ einläuft und mit den Klischees, die das MMA begleiten, spielt. Für den spektakulärsten Moment an diesem Abend sorgt aber Lokalmatador Max Coga. Der Besitzer des Clubs „Pik Dame“ im Bahnhofsviertel schickt seinen Gegner Antun Račić mit einem Kniestoß in der zweiten Runde zu Boden. Anschließend umarmen sich die beiden. Brutale Schläge und gegenseitiger Respekt gehören beim MMA zusammen.

Um 23.30 Uhr ist es endlich so weit. Erst trägt Fußball-Weltmeister Lukas Podolski den Siegergürtel in den Ring, dann läuft Jungwirth ein. Dann gibt der Rapper Gzuz Playback einen Song zum Besten. Abschließend wird kurz die Eintracht-Hymne „Im Herzen von Europa“ eingespielt, bevor zum Rocksong „Kickstart my Heart“ von Mötley Crüe unter lautem Jubel Eckerlin in das Stadionrund kommt. Es folgt ein unspektakulärer Kampf, an dessen Ende sich der Frankfurter trotzdem feiern lässt. „Wir haben Geschichte geschrieben“.